Vor einiger Zeit schlich ich mich am Hafen von Laboe als blinder Passagier auf die MS Sagitta und kam so den Sternen ganz nah, den Seesternen versteht sich. Natürlich hat mich keines der mitfahrenden Kinder und Crew-Mitglieder bemerkt, denn wenn man als Möwe heimlich eine Ausfahrt mit einem Boot macht, denken sich die Menschen höchstens, diese Möwe ist hungrig wie ein Löwe oder einfach zu faul zum Fliegen. Stimmt ja auch, vor allem aber bin ich neugierig auf unsere Ostsee und jeden noch so klitzekleinen Bewohner von Kiel am Nil. Also Leinen los und auf geht die wilde Fahrt:Die MS Sagitta ist das Ausflugsboot der Meeresbiologischen Station Laboe. Während man dort vor Ort verschiedene Ostsee-Bewohner wie Hummer und Katzenhaie in zahlreichen Aquarien beobachten kann, gelangt man bei einer Ausfahrt mit der MS Sagitta direkt dort hin, wo diese Wesen in freier Schwimmbahn leben. Man trifft sie so quasi in ihren Vorgärten, „Seegraswiesen“ sagen Meeresbiologen wie Karl Deutschmann dazu, Leiter der Laboer Forschungsstation.
Seegraswiesen gibt es in der Kieler Förde glücklicherweise so einige. Eine besonders große Seegraswiese hat sich in 1 bis 5 Meter Tiefe vorm Falckensteiner Strand breit gemacht. Sie ist knapp 1 Kilometer lang, bis zu 50 Meter breit und man schätzt, dass sie um die 2000 Jahre (!) alt ist. Wiese, Gras und Grünzeug klingt erst mal ein wenig öde. Aber Seegraswiesen sind alles andere als das. Sie sind nicht nur superschön und sehen aus wie kleine Unterwasser-Dschungelwälder, sie sind vor allem bedeutend für das komplette Ökosystem – lebenswichtig also für viele kleine Ostseebewohner und Pflanzenarten, genauso aber auch für alle Landbewohner wie Menschen, Möwen und Pflanzen. Seegras ist ein geniales zu Hause für viele kleine Meereswesen, weil man sich darin super verstecken, vor der Strömung schützen und Eier ablegen kann.
Zudem produzieren die schmalen, grünen Halme jede Menge Sauerstoff. Wenn Ihr im flachen Wasser vor Falckenstein oder Heidkate mal mit einer Taucherbrille unterwegs seid, und werdet Ihr beim Seegras überall winzig kleine Luftbläschen entdecken – BlubBlub! Das bedeutet also, dass das Meer und seine Lebewesen dank des Seegrases besser atmen können. Und übrigens: Viele Menschen nervt es, wenn unsere Strände vor allem in Herbst und Frühjahr voller dunkler Gräserfäden liegen, das sieht dann aus wie braune Strohberge. Das ist aber weder Müll noch eklig – es sind ganz einfach abgeblühte Seegräser. Sie fallen genauso regelmäßig ab, wie im Herbst die Blätter von den Bäumen, sind also quasi Seelaub.
Doch zurück an Bord der MS Sagitta: Sobald diese einen bestimmten Punkt in der Kieler Förde erreicht hat, von dem Ihr übrigens auch einen tollen Seefahrerblick auf Laboer Strand, U-Boot und Ehrenmal habt, lässt der Meeresbiologe ein Bodennetz runter. Einige Zeit später wird dieses wieder hoch gezogen und wir betrachten gemeinsam, was sich nun darin versammelt hat. Neben einigen Ohrenquallen (da sind die Harmlosen mit den vier Ringen in der Mitte – und ohne „Feuer“) und zahlreichen Seegräsern, begrüßen wir ein paar Krebse, Seesterne, Muscheln und sogar eine winzig kleine Seenadel an Bord. Sie werden behutsam in das kleine Wasserbecken an Bord verfrachtet, und nach und nach erklärt der Biologe lauter interessantes Zeug zu diesen Wunderwesen.
Zugegeben, als Möwe und Meeresfeinschmecker läuft mir nun etwas das Wasser im Schnabel zusammen, aber ich schwöre ich habe nur zugehört und nicht zugeschnappt. Zumal mir Pommes und Soft-Eis eh viel besser schmecken. Neben dem Seegras haben mich am meisten die Geheimnisse der Seesterne beeindruckt. Die sind nicht nur wunderschön, sondern haben es wortwörtlich in sich. So haben Seesterne zum Beispiel keine Augen im klassischen Sinne, aber mit Hilfe von Lichtsinneszellen, die direkt an den Spitzen ihrer Arme sitzen, können sie optische Reize wie Hell und Dunkel wahrnehmen. Durch ihren ganzen Körper hindurch geht es ein Wassersystem, was den ganzen Stern bis in die Spitze mit Flüssigkeit versorgt. Befindet sich der Seestern für einige Zeit in zu trockenen Gefilden, wirft er einfach ein Ärmchen ab. Dieses kann später wieder nachwachsen.
Das Seestern-Mäulchen befindet sich in der Mitte des Unterköpers und: Seesterne entwickeln tatsächlich solche Kräfte, dass sie es schaffen, eine Muschel zu öffnen. Dann stülpen sie ihren Magen aus dem Körper heraus und hinein in die Muschel. Dort macht die Magensäure des Seesterns das Muschelfleisch flüssig und wird von dem kleinen Jäger einfach weggeschlürft. Alter Seesternfalter! Hättet Ihr jemals gedacht, dass diese niedlichen Sterne soooo stark sein können?
Nach einer knappen Stunde Ausfahrt machen wir wieder fest im Hafen von Laboe. Beeindruckt von so vielen Superkräften unserer winzigen Unterwasser-Nachbarn, kommen wir alle mit großen Augen und großen Respekt zurück an Land. Und jedem Passagier, ob Mensch oder Möwe, ist plötzlich noch deutlicher bewusst: Dieses Meer ist eine Wunderwelt, die wir beschützen müssen. Jetzt und jeden Tag.
Ausfahrt mit der MS Sagitta
Die MS Sagitta startet von Montag bis Freitag vom Laboer Hafen aus mehrmals täglich auf ihren knapp einstündigen Trip. Es können maximal elf Passgiere mitfahren und die Tour muss vorher telefonisch (0160/967 602 97) oder vor Ort in der Meeresbiologischen Station angemeldet werden. Pro Person kostet eine Ausfahrt ca. 13 Euro.
Meeresbiologische Station Laboe
Dipl. Biologe Karl Deutschmann
Strand 1
24235 Laboe
Tel: 04343 – 429321
Mobil: 0160 – 967 602 97